Arnulfsteg - Design für alle

  • Lang Hugger Rampp
  • Brücken

 

Am 23.12.2020 hat die Landeshauptstadt München den von uns in Arbeitsgemeinschaft mit SSF Ingenieuren geplanten Arnulfsteg in Betrieb genommen.

Entwurf und Ausführungsplanung Entwurf und Ausführungsplanung: SSF Ingenieure in Zusammenarbeit mit Lang Hugger Rampp⁠ Architekten⁠
Leistungsphasen 2 – 5, Beratungsleistungen bis LP 8
Wettbewerb 1.Rang 2013
Planung ab 2013
Inbetriebnahme 23.12.2020

Baustelle Arnulfbrücke München 4. Verschub
© Dr. Gössing und Florian Holzherr

Arnulfsteg - Ein neuer Stadtbaustein
und seine Designfaktoren

Situation und Aufgabe

Die Brücke überspannt den gesamten Gleiskörper des erweiterten Bahnhofareals – mit 37 Bahngleisen, über eine Breite von ca. 240m.

Dieser beinhaltet Signale, Speiseleitungen für die Hochspannungsleitungen, ICE Reinigungswerk, Tunnelausfahrten und Bahnsteige und erlaubte kaum Aufstellorte für Stützen.

Die zu erreichende Anschlusshöhe des Trägers bedingt sehr lange und damit große Rampenbauwerke, die den zur Verfügung stehenden Bauraum vollständig ausfüllen werden.

Darin liegt eine Entwurfsaufgabe für die Bauwerke an sich und die daran angegliederten Freiflächen, die im Wettbewerbsentwurf mitgedacht wurden.



Besonderheit und gestalterischer Rahmen des Bauwerks ist die Herstellung der Brücke.

Sie wurde im Werk abschnittsweise hergestellt, auf die Baustelle gebracht und dort in dem sogenannten Taktkeller in 7 Metern Höhe schrittweise zu  dem 240m langen Träger verschweißt.

In den Montageschritten wurde der Träger von dort aus im Taktschiebeverfahren langsam und schrittweise zu den koordinierten Gleissperrzeiten in einem „spektakulären“ Verfahren nach Süden über die Gleise geschoben.

37 Bahngleise, über eine Breite von ca. 240m: Ingenieurbaukunst zum Erleben!!!

Gestaltungsziele

Einfaches, sparsames Design  
Ein Brückenträger, der sich zurücknimmt, optisch minimiert den Blick entlang des Gleisfeldes auf die Innenstadt.

Abwechslungsreiche Wege
Rampen, die aufgrund ihrer enormen Länge (man ging von einer Ausführung ohne Aufzüge aus und man muss in knapp 7 m Höhe über die Hochspannungsleitungen der Bahn gelangen) einen möglichst kurzweiligen, abwechslungsreichen und angstfreien Weg schaffen.

Schöne Räume statt Unorte unter den Rampen
Rampen stehen in engen Baufeldern im dichten urbanen Kontext Unter ihnen im Stützenwald ergeben sich öffentliche Räume. Die Stützen und Rampen müssen also auch von unten gesehen, gut gestaltet sein. Diese Bereich sind spannend ausgeleuchtet.

Beton, Stahl, Glas
Rampen und Brücke stehen unterschiedlich im Kontext. Sie werden meist getrennt wahrgenommen, daher sind verschiedene jeweils passende Baustoffe zur jeweils besten technischen Ausführung möglich.


Stadtbaustein
Die Brücke soll ein selbstbewusster und eleganter Stadtbaustein im bestehenden Kontext werden. Sie soll den Fortschritt von Stadtraum und Verkehrssystemen spürbar machen. Eine Brücke über 37 Bahngleise ist auch in einer Großstadt wie München eine bedeutende städtebauliche Komponente und soll so wirken.

Großform als urbaner Baustein
Trotz der modularen Fertigung in einzelnen Schüssen und der dem Taktschiebeverfahren geschuldeten abschnittsweise funktionierenden Statik soll der Gesamtträger eine möglichst ruhige, elegante und dem Verkehrsweg angemessene Dynamik und Großzügigkeit erhalten.


Freiflächenkonzept integriert
Das Aufsteigen der Rampenwege soll entlang von Baumstämmen und Kronen erfolgen, einmal als langgezogene Schleife, einmal als Spirale.

Design des Trägers

Struktur

Fassadenstruktur der umgebenden Gebäudefassaden, Optik der Züge und der Vierendeel-Rahmen des Trägers haben in der rechtwinklig gegliederten Fassadensprache eine Entsprechung in Form und Rhythmus.

Leichtigkeit des Brückenträgers

Die Fassade knickt oberhalb dieser Linie zur Trägermitte nach innen, wendet also die Glasfassede dem Licht zu und entmaterialisiert den Träger in seiner Außenansicht.

Die gleiche Knickbewegung von der horizontalen Glaslinie nach unten macht die Stahlflanke zur Trägermitte noch weiter unsichtbar, weil sie nach hinten wegknickt und die Flanke einen Verlauf in die Mitte ins Dunkel erhält. Also ist es in der Mitte am hellsten, am dunkelsten. Das hebt visuell den Träger und macht ihn leicht und elegant. Zu den Trägerenden wird der Träger seitlich in leichtem Schwung etwa einen halben Meter breiter, diese Verbreiterung entspannt die Wegeströme an den Enden und nimmt geometrisch die Verjüngung durch den Knick zur Trägermitte auf.

Eleganter Schwung durch Verschneidung von Kurve und gerader Knicklinie

Die Hauptform des Trägers entspringt einer Verschneidung der leicht überhöhten Gradiente des Trägers zu seiner Mitte mit einer annähernd horizontalen Linie. Diese teilt den Träger in den Gläsern belegten oberen Bereich von dem massiven unteren Stahlkörper.

Panorama und Aufenthaltsort

Um den spektakulären Blick genießen zu können, werden durch die Anhebung der Wegelinie zur Trägermitte und die tiefen Träger Laibungen kleine Ausbuchtungen zum Verweilen entstehen.

Aufsteigender Weg

Die Weglinie im Innern des Trägers ist die der Gradiente, so dass man zur Trägermitte entlang der horizontalen Trennlinie aufsteigt. Beim Eintritt hat man eine schützende senkrechte Stahlwand an den Seiten, mit zunehmendem Weg erhebt man sich über die Trennlinie und erhält einen großzügigen Ausblick über die Gleise nach Westen und in die Innenstadt.

Designstück im Stadtraum

Ergebnis ist ein ca. 240 m langer, sehr fein aus- und einknickender Brückenträger. Transparent und behaglich im Innern und in der Außenansicht. Er verändert mit dem Lauf der Sonnenbahn jeden Tag aufs Neue seine Gestalt und Mimik, dabei ist er durch das Wegknicken des unteren Flankenteils stets elegant wie eine venezianische Brücke.

 

Interdisziplinäre Zusammenarbeit 

Bemerkenswert an dem Projekt ist, dass durch die enge und vertrauensvolle Kooperation von Ingenieuren und Architekten ein Kernteam gebildet wurde, welches Konstruktion, Bauweise und Design systemimmanent bearbeitet und von Anbeginn an im gemeinsamen 3D Modell entwickelt hat. Dieses Modell hat die Planung des Bauwerks vom Entwurf bis zur Werkstattplanung begleitet und diese ebenso einfache und klare wie komplex zu verstehende und präzise zu bauende Form ermöglicht.

Verkehrsplanung, Freiflächenplanung und Lichtplanung haben sich mit ihren Teams in die Entwurfsgedanken eindenken können und gemeinsam mit Ingenieuren und Architekten die Idee über einen durch unvorhergesehene Ereignisse fast 8!-jährigen Planungs- und Bauprozess getragen. 

Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Planer, der Bauherrin und der ebenso engagierten wie kompetenten Unternehmen in der Ausführung ist die wesentliche Leistung dieses für München bedeutenden Ingenieurbauwerks.